Baikalsee, Schamanen und Buddhisten
Bevor wir von Irkutsk wegfuhren, wollten wir unseren Wassertank und die zwei Reservekanister noch einmal vollstĂ€ndig mit Leitungswasser fĂŒllen. Wir wollten dazu unseren Keramik-Filter einsetzen, dessen Poren so klein sind, dass sie keine Bakterien durchlassen (Durchmesser von 0.2 Mikrometer).Bereits auf unserer Reise in Marokko hatten wir einen solchen Filter im Einsatz, allerdings von einem andern Hersteller. Da der Durchsatz damals mit jedem Tanken geringer wurde, haben wir den Hersteller gewechselt. Beim jetzt eingesetzten Filter war am Anfang der Durchsatz sehr hoch, nach 30 Liter wurde der Durchsatz aber bereits spĂŒrbar geringer und nach 20 Minuten hatten wir immer noch nicht die HĂ€lfte unserer 80 Liter im Tank. War der Filter bereits verstopft? MĂŒssten wir in Zukunft einen Vorfilter benutzen, der die Schwebstoffe und anderes vom eigentlichen Keramikfilter fern hĂ€lt? In der Anleitung haben wir dazu nichts gelesen. Ein Mitfahrer, der frĂŒher beruflich mit Wasserwerken zu tun hatte, erzĂ€hlte, dass das Verstopfen von Keramikfiltern d a s grosse Problem sei und dieser Filtertyp deshalb kaum in Wasserwerken eingesetzt wĂŒrde. Allerdings muss man in Westeuropa auch kaum das Wasser von Keimen befreien, unser Grundwasser in der Schweiz und Deutschland hat ja an vielen Orten fast eine MinteralwasserqualitĂ€t. Wir wissen von einem Filteranbieter, dass dessen Filter gereinigt werden können, was natĂŒrlich sehr praktisch ist. Allerdings benötigen diese Filter zu viel Platz und kommen fĂŒr uns deshalb nicht in Frage. So montierten wir unseren neuen Keramikfilter wieder ab und befĂŒllten den Tank direkt mit dem Leitungswasser des Hotels. Wir verwenden Leitungswasser vorallem zum Abwaschen, Duschen und ZĂ€hneputzen, zum Kochen nur abgekocht fĂŒr z.Bsp. Teigwaren etc. FĂŒr Kaffee oder Reis verwenden wir immer gekauftes Wasser aus 5 – 10 Liter Kanistern.
Ab Irkutsk bemerkten wir bezĂŒglich Land und Leuten nun doch einige VerĂ€nderungen.
Wir fuhren zuerst nochmals rund 100 km nordöstlich. Die Landschaft war zwar immer noch hĂŒgelig, jedoch viel flacher und sanfter, auch hatte es immer weniger BĂ€ume, dafĂŒr mehr KĂŒhe, die ohne Zaun oder Cowboy völlig frei herumliefen und auch immer mal wieder die Strasse ĂŒberquerten und dabei zu kleinen Staus fĂŒhrten. Danach ging es rund 70km Richtung sĂŒdöstlich. Wir wollten mit der FĂ€hre auf die Insel Olchon im Baikalsee. Diese 70km ging es nun rauf und runter, wir ĂŒberquerten mehrere HĂŒgelzĂŒge, die immer bis knapp unter oder knapp ĂŒber 1’000 mĂŒM reichten, wieder bewaldet waren und uns sehr an den Jura erinnerten. Die meisten Personenwagen waren nun rechts gesteuerte japanische Fahrzeuge. Ich stelle mir dies insbesondere beim Ăberholen noch recht schwierig vor, kann man doch nicht einfach leicht an oder ĂŒber den Mittelstreifen fahren um zu sehen, ob von der Gegenseite etwas kommt, sondern muss immer mit dem ganzen Fahrzeug auf die GegenfahrbahnâŠ
Die FĂ€hre auf die Insel ist ĂŒbrigens als Teil des russischen Strassennetzes gratis und völlig unkompliziert. Allerdings fĂ€hrt sie immer nur mit der Vorderseite zum Land, so dass man rĂŒckwĂ€rts von ihr runter fahren muss. Auf der Insel Olchon aber auch spĂ€ter in Ulan-Ude waren nun viel mehr Leute mit asiatischen Gesichtern zu sehen, die «EuropĂ€er» wurden langsam zur Minderheit.
Der Baikalsee ist mit einer LĂ€nge von 673km, einer Breite von 82km und einer Tiefe von bis zu 1’642m der grösste SĂŒsswassersee der Erde. Er beinhaltet rund 20% des flĂŒssigen SĂŒsswassers der Erde; Neuenburgersee, Genfersee oder Bodensee hĂ€tten x-fach darin Platz, gigantisch! Die Insel Olchon, auf der wir nun drei ganze Tage und vier NĂ€chste verbringen konnten, ist 72km lang und knapp 14km breit, hat ca. 1’500 Einwohner sowie kaum Smartphone-Empfang, eigentlich nur am Hauptort.
Man kann trotzdem gut leben.
Unsere Fahrzeuge standen alle direkt am Sandstrand und der örtliche Guide hatte sogar eine Banja, eine Sauna (auf einem uralten Lastwagen) hingestellt.
Am ersten Tag war ein Ausflug mit russischen UAZ-Fahrzeugen ans Nordkap der Insel angesagt. Die UAZ werden seit rund 60 Jahren praktisch unverĂ€ndert in Russland gebaut. Sie gleichen grob dem «Ur-Bulli» von VW (T1), wurden aber als GelĂ€ndefahrzeug konzipiert und werden von vielen als gelĂ€ndegĂ€ngigstes Fahrzeug neben dem Unimog bezeichnet. Allerdings war der Komfort vor 60 Jahren noch nicht ganz so hochgeschrieben⊠Zuerst waren die Strassen noch «Jupi-tauglich», wenn auch anspruchsvoll. Irgenwann ging es dann aber in einen Wald, wo die Fahrt durch die tiefen Spurrillen sowie die unterschiedlichen SchrĂ€glagen Ă€usserst schwierig wurde, durch die BĂ€ume wurde es auch noch sehr eng und wir wurden im Innern ziemlich herum gewirbelt – ein ganz spezielles Erlebnis und aus Sicht von Bettina und mir der bis jetzt beste Ausflug, der durch unsere Tourbegleitung organisiert wurde, merci vöumou!
Ab Irkutsk sahen wir auch immer mehr kleine Tempel resp. Stellen fĂŒr Opfergaben oben auf Kuppen oder mit StoffbĂ€ndern umwickelte Pfosten oder BĂ€ume, ein Hinweis, dass hier das Schamenentum verbreitet ist. Auf der Insel Olchon organiserte die Reisebegleitung ein Treffen mit einem Schamanen, der uns von seinem Werdegang aber auch seiner TĂ€tigkeit erzĂ€hlte. Er war ursprĂŒnglich Polizist und merkte irgend einmal mit Hilfe eines andern Schamanen, dass auch er zu dieser Arbeit berufen war. Die Schamanen sind aus unserer Sicht eine Art «Psychotherapeuten», d.h. helfen insbesondere Menschen die psychische Probleme haben und denen es schlecht geht. Sie sind keine Pfarrer oder Priester und nehmen auch keine Taufen oder Hochzeiten vor. «Wir werden nur gerufen, wenn es jemandem schlecht geht», war seine Aussage. Um den Patienten zu helfen versetzen sie sich in Trance und versuchen mit den Vorfahren in Kontakt zu tretenâŠ
Er erklĂ€rte uns auch die Bedeutung der StoffbĂ€nder an den Pfosten oder bestimmten BĂ€umen: «Diese BĂ€nder muss man selber eine Zeit lang getragen haben, bindet sie dann um ein entsprechendes Objekt und wĂŒnscht sich etwas bestimmtes.»
Wohlgemerkt, dies ist immer noch Russland.
Eines Morgens, wir wollten eigentlich Velos mieten gehen, entdeckte Bettina vor unserem Jupi ein Erdhörnchen (Ziesel). Ich natĂŒrlich sofort raus, 70-200m Objektiv auf die D500 montiert, das Ganze auf dem Stativ befestigt und vor den Eingang der Höhle gestellt. Dann das WiFi der Kamera aktiviert und auf dem Smartphone die Nikon-App SnapBridge gestartet. Damit konnten wir nun aus Distanz das Erdloch auf dem Smartphone ĂŒber die Nikon-Kamera beobachten, bei Gefallen die Kamera via Smartphone auslösen. Was auch geht, ist das Verstellen von SchĂ€rfepunkt, Blende und Verschlusszeit via Smartphone, eigentlich genial – wenn nur die Kamera nach 5 Minuten jeweils nicht das WiFi wieder ausschalten wĂŒrde. Doch dazu gibt es sicher eine Lösung. Doch die Erdhörnchen waren gar nicht so scheu wie wir zuerst befĂŒrchteten und ich konnte auch problemlos hinter der Kamera stehen und sie verfolgen – genial. SpĂ€ter unternahmen wir noch kleinere SpaziergĂ€nge um weitere Erdhörnchen zu finden, doch waren die andern viel scheuer – und ich vermisste mein 200 – 400m – Objektiv sehr, das zu Hause lag. Immerhin hatte ich noch den 1.4 Konverter dabei und kam so auf 280mm, doch das Einstellen der SchĂ€rfe ist damit immer eine Herausforderung, wenn man wie ich ein SchĂ€rfefanatiker ist.
Zuerst meinten wir ĂŒbrigens dies seien ErdmĂ€nnchen. Wie wir aber bald erfuhren und nach eigener Recherche herausfanden nennt man diese Tiere hier Suslik oder zu deutsch Ziesel oder eben Erdhörnchen und sie haben nichts mit ErdmĂ€nnchen zu tun, obwohl sie ihnen optisch Ă€hnlich sind, beide zum Beobachten auf die Hinterbeinde stehen und in selbst gegrabenen Höhlensystemen hausen. Erdhörnchen sind Nagetiere und mit unseren Murmeltieren verwandt, wĂ€hrend ErdmĂ€nnchen sog. Schleichkatzen und damit Raubtiere sind und nur im sĂŒdlichen Afrika vorkommen.
Nach vier wunderbaren Tagen verliessen wir die Insel Olchon, unseren östlichsten Punkt unserer Reise, wieder und nahmen nun Kurs Richtung Mongolei. Auf dem Weg dorthin ĂŒbernachteten wir unter anderem in Posolskoe, am SĂŒdufer des Baikalsees, wieder direkt am Sand- resp. hier halb Kiesstrand. Ganz in der NĂ€he fliesst der Fluss «Selenga» in den Baikalsee, er bringt rund 50% des Wassers fĂŒr diesen und bildet hier das grösste SĂŒsswasserdelta der Erde, das eine FlĂ€che von rund 500km2 bedeckt. Leider sieht man von der Strasse aus kaum etwas davon und fĂŒr einen Ausflug, z.Bsp. mit einem Luftkissenboot, war keine Zeit eingeplant, auch eine Drohne hatten wir nicht um von oben eine Ăbersicht zu bekommen.
BezĂŒglich Defekte gab es einen Fiat Ducato, bei dem sich nach der Insel Olchon plötzlich diverse GĂ€nge nicht mehr einlegen liessen. Befund: Getriebeschaden. Gott sei Dank befand sich in Irkutsk eine «Fiat Professional Garage» die ein entsprechendes Getriebe auf Lager hatte und den ganzen Wechsel sehr speditiv und fachmĂ€nnisch innerhalb von sechs Stunden vornahm, grosses Aufatmen bei allen.
Den letzten Stopp vor der mongolischen Grenze machten wir in Ulan-Ude, der Hauptstadt der russischen Republik Burjatien, dem sĂŒdöstlichsten Gebiet Sibiriens. Hier hatten wir einen sehr schönen Besuch im buddhistischen Kloster «Iwolginski Dazan». Zur grossen Ăberraschung war der Stellvertreter des Dalai Lamas hier und es hatte deshalb sehr viele Leute auf dem GelĂ€nde. Von dem hohen geistlichen WĂŒrdentrĂ€ger sahen und hörten wir allerldings nichts, doch vor dem entsprechenden Tempel gab es eine grosse Menschenmenge mit GlĂ€ubigen die anstanden, um ihn zu sehen.
Danach ging es rund 200km weiter sĂŒdwĂ€rts zur mongolischen Grenze. Das ganze Ausreiseprozedere aus Russland dauerte rund zwei Stunden. Die meiste Zeit davon bestand aus Warten, da wir mit unseren 19 Fahrzeugen die wenigen Zollbeamten voll in Beschlag nahmen, die sonstigen Einzelfahrzeuge kamen einmal mehr schneller durch.
Russland, du bist so vielfÀltig, hast so viel zu bieten und hast uns so gut gefallen, wir kommen auf jeden Fall wieder. Bereits auf dieser Reise werden wir noch zwei Mal ein- und ausreisen, doch auch danach wollen wir selber, ohne Gruppe, wieder kommen.
Dann die Einreise in die Mongolei: Die erste Station ist ein kostenpflichtiges Desinfektionsbad fĂŒr das Fahrzeug (100 Rubel oder 1 Euro). Man muss dabei durch eine «grössere PfĂŒtze» gleich nach dem Schlagbaum fahren, dies war noch einfach. Danach wurde es fĂŒr uns etwas «unĂŒbersichtlich», d.h. ein hin und her, vor und zurĂŒck zwischen insgesamt 6 Stationen wo zuerst die Fahrzeugpapiere, dann der Pass zusammen mit Fahzeugpapieren, dann Fahrzeugpapapiere und Pass, darauf eine sehr rudimentĂ€re Inspektion des Fahrzeuginnern, dann wieder Kontrolle von Fahrzeugpapieren/Pass und so weiter⊠Dank der UnterstĂŒtzung durch unsere Tourbegleitung sowie unserer lokalen Dolmetscherin schafften wir es ohne grosse Nervenanspannung. Nach nochmal knapp 2.5 Stunden hatten wir es geschafft, wir waren in der Mongolei.
Was fĂŒr ein GlĂŒcksgefĂŒhl, mit dem eigenen Fahrzeug haben wir es bis hierhin geschafft, rund 11’000km seit Sugiez, seit anfangs Mai 2019!